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Yoga und Rückkehr zum Wesentlichen

Wir hetzen durch unseren Alltag, sind tagtäglich mit einer Flut von Aufgaben, Erwartungen und Meinungen konfrontiert. Ganz gleich ob auf zwischenmenschlicher Ebene oder ausschließlich unseren eigenen inneren Kosmos betreffend. Egal wie schwindelig uns wird, aus diesem Karussell aussteigen ist nicht, denn dann, sind wir nicht mehr belastbar, wir funktionieren nicht mehr und vor allem sind wir nicht mehr wie die anderen. 

Unser härtester Richter in dieser sich nur allzu gerne festzuziehenden Gedankenspirale sind übrigens wir selbst und niemand anderes. Machen wir die sozialen Medien auf, sind diese voll von Tipps zur Selbstliebe, voll von Yoga-Morning Routinen im bauchfreien Kuschel-Zweiteiler, voll von Anleitungen zum Glücklich sein.

Wenn wir jetzt einmal ehrlich sind, dann schauen wir uns all diese flimmernden Einflüsse auf dem Weg zur Arbeit, zwischen zwei Meetings oder übermüdet abends auf der Couch an. Wir nehmen unentwegt Reize auf und in unseren wenigen freien Zeiten beschäftigt sich eine Vielzahl von uns mit möglichen Wegen der Selbstoptimierung. Dies geschieht meist unter dem Deckmantel namens „ich tue mir etwas Gutes“.

Es gibt Menschen, für die diese Lebensgestaltung funktioniert, aber ebenso Menschen, die sehr empfindsam auf die stetige Dauerüberreizung reagieren und für die sich diese Welt einfach zu schnell dreht. Zu letzterem zähle ich mich persönlich und ich denke, dass eine Vielzahl von Urtikaria-Betroffenen ebenfalls zu einem eher empfindsamen Gemüt neigt. 

Für die überwiegende Mehrheit ist es unmöglich ihren Job an den Nagel zu hängen und sich allen Reizen des Lebens zu entziehen. Die einsame Hütte im Wald ist in der Regel keine umsetzbare Alternative. So schön dieser Gedanke hin und wieder anmutet, genauso schön sind doch die Momente, die wir hin und wieder in unserem Alltag genießen können und das trotz des Wahnsinns der täglich an unsere Tür 

klopft. In diesen kleinen Momenten, die sich gut anfühlen und uns erfüllen, sind wir bei uns und das ist der Schlüssel in dieser Welt bestehen zu können.

Wie kommen wir dorthin? Eine gute Frage…natürlich muss jeder Mensch seinen eigenen Weg finden. Diese Wege sind so unterschiedlich wie die Gesichter, in die wir täglich schauen. 

Eine Generallösung gibt es nicht. Aus meiner eigenen Erfahrung und Leidensgeschichte heraus, denke ich, dass ein wesentlicher Schlüssel darin liegt, das Richtige aus den richtigen Gründen zu tun.

Dazu bedarf es der Selbstbeobachtung, der Selbsterkenntnis und der Selbstwirksamkeit. Eigentlich möchte ich dieses heutzutage inflationär verwendetet Wort Selbstliebe nicht verwenden, aber genau das ist gelebte Selbstliebe.  

Mein Weg, um die Voraussetzungen für genau diesen Prozess zu schaffen bzw. zu erhalten ist Yoga.Ich lerne die Kunst des Yoga seit über sieben Jahren, lange Jahre ausschließlich als Schülerin und seit ca. zwei Jahren ebenso als Lehrerin in Ausbildung. 

Was für mich einmal die Woche unter dem Motto „Durchquälen für weniger Rückenschmerzen und weniger Reizmagen“ begonnen hat ist heute ein unglaublich großer Teil meines Lebens geworden, welcher mir in den richtigen Momenten und zur richtigen Zeit immer wieder Antworten auf Fragen aus meinem Inneren gibt.

Rückenschmerzen, Reizmagen und eine generelle Angststörung, das waren damals meine Motoren auf der Suche nach „irgendetwas was mir guttun könnte und mich dazu befähigt mich irgendwie entspannen zu können“. Irgendwie passt recht gut, denn es hat Jahre gedauert, bis ich an den Punkt gekommen bin, an welchem ich heute bin. Es war gleichermaßen ein seelischer und körperlicher Prozess Yoga für mich so zu praktizieren, dass ich die Wirkung der einzelnen Asanas (Körperhaltungen) und des Pranayama (Atembeobachtung) für mich nutzen lernte. Das wundervolle; ich stehe noch ganz am Anfang und Yoga ist so weit, groß und umfänglich, ich freue mich noch mehr entdecken zu dürfen.

„Der Körper ist mein Tempel, das Asana mein Gebet“  

(B.K.S Iyengar)

B.K.S. Iyengar, der Begründer der Methode des Iyengar Yoga, sprach in einem vergangenen Interview darüber, wie wichtig es ist, dass der Yoga-Schüler erst einmal lernt in den Körperhaltungen bei sich anzukommen. Denn wie soll sich jemand hinlegen und einen meditativen Zustand erreichen, wenn er es nicht schafft, in einem aktiven Asana seinen Geist zur Ruhe zu bringen (Quelle unbekannt).

Genau das ist es, wir sind die Bewegung und das Laute so gewöhnt, dass viele von uns die Stille und das Verweilen nicht mehr ertragen.

Im Iyengar Yoga, der Methode nach B.K.S. Iyengar, werden die verschiedenen Körperhaltungen, die Asanas, für eine gewisse Zeitspanne gehalten, das heißt der Schüler verweilt aktiv in der Haltung. Der Lehrer leitet die Haltung ein, indem er den Schüler durch einzelne Körperpunkte führt und diese ausrichtet. Der Schüler folgt den Anweisungen des Lehrers und wird so in ein Asana geführt, welches den Körper energetisch wie auch anatomisch in einer gesunden Art und Weise ausrichtet. Dem Schüler wird gelehrt diese Ausrichtung beizubehalten und die einzelnen Körperpunkte immer wieder zu überprüfen und zu aktivieren. Was manchmal so einfach aussieht, ist eine Höchstleistung für den gesamten Körper und ebenso für den Geist. Es werden Bereiche im Körper unter anderem gedehnt, gestärkt und geöffnet, die zur Korrektur von tagtäglich erlernten Fehlhaltungen beitragen. Hinzu kommt, dass die Wirkung der einzelnen Asanas sich ebenso auf das Nervensystem ausdehnt.

Unser Nervensystem beeinflusst uns in solch elementarer Weise, dass hier veranlagte Daueranspannungen langfristig negative Auswirkungen auf uns haben und uns vollkommen aus dem Gleichgewicht bringen können. Das Nervensystem beeinflusst wiederrum das Immun- sowie das Hormonsystem bzw. wird von diesen Systemen ebenso beeinflusst.

Gerade Menschen mit chronischer Urtikaria leiden unter anderem oft an einem Ungleichgewicht dieser Systeme und sind einem sich selbst bedingenden Teufelskreis aus Anspannung, Stress und Erschöpfung ausgesetzt. 

Bei einigen von ihnen verschlimmern sich die Symptome unter Anstrengung. Wer das nicht in Kauf nehmen möchte, sieht oft keinen Weg sich körperlich zu betätigen und so zu seinem allgemeinen Wohlbefinden beitragen zu können. Sprich sich auf den Weg in Richtung Gleichgewicht begeben zu können. Natürlich muss jeder seine Urtikaria individuell betrachten und für sich beurteilen, ob Yoga ein Weg zu mehr Wohlbefinden ist. Allerdings bietet Yoga wunderbare Voraussetzungen, auch für körperlich eingeschränkte Menschen aktiv zu werden.

Wer das jeweilige Asana aus körperlichen Beweggründen nicht einnehmen kann, der kann die sogenannten Probs zur Hilfe nehmen. Probs stellen Hilfsmittel, wie z.B.  einen Stuhl, einen Gurt oder eine bzw. mehrere Decken, dar. Es besteht die Möglichkeit sanfte Asanas, welche eine beruhigende Wirkung auf den Organismus haben, auszuwählen, umso den Schüler auf sanfte Art und Weise körperlich zu lösen, ohne seinen Organismus zu überreizen.

Ein weiterer Aspekt in der Lehre des Yoga ist die Atembeobachtung bzw. in fortgeschrittenen Klassen auch die Atembeeinflussung, das Pranayama. Im Pranayama beobachtet der Schüler seinen Atem, wichtig dabei ist, er tut dies, ohne den Atem zu beeinflussen. Nach einiger Übung kann z.B. die Einatmung oder die Ausatmung vertieft werden. Pranayama beruhigt den Geist und lässt den Schüler nach einiger Übung die Kunst der Selbstberuhigung erlenen.

„Im Leben ist der Atemder Erste, der kommt & der Letzte, der geht.“

(Anke Engel, Iyengar Yoga-Lehrerin)

Was, so denke ich, alle Yoga Richtungen gemeinsam haben, ist die Rückkehr zum Wesentlichen. Im übertragenen Sinne eine persönliche Involution. 

Nicht immer nur nach vorne, Erfolg, Leistung, Konsum, noch eine Armbanduhr die meinen Puls, meinen Schlaf und all die Dinge misst, die ich selbst verlernt habe, intuitiv zu fühlen.

Im Yoga brauche ich nur mich selbst und lasse überflüssiges weg.

Wenn wir lernen neben all den Reizen und Anforderungen für uns selbst eine Rückbesinnung zu schaffen, zumindest in den grundsätzlichen Dingen, dann haben wir ein sehr wichtiges Handwerkszeug für ein Leben im Gleichgewicht mit uns selbst in der Tasche. Gemeint ist die Rückbesinnung auf sich selbst, auf die Stille, auf den eigenen Atem, den eigenen Körper, die eigenen Gefühle und Schmerzen, die in jedem von uns wohnen, all das kann Yoga. 

Mir ist vollkommen bewusst, das Yoga nicht für jedermann oder jederfrau das Richtige ist. Für viele ist es unerträglich im Moment zu verharren, viele wollen 

Geschwindigkeit und schnelle Bewegung und das ist vollkommen okay bzw. das ist großartig. Wenn Sie etwas gefunden haben, dass Ihnen guttut, das ihr Herz erfüllt und Ihre Seele hüpfen lässt, dann reiten Sie dieses Pferd bis zum sprichwörtlichen Umfallen. 

„Wer immer unterwegs ist, der muss nirgendwo ankommen.“

Achten Sie jedoch darauf, hin und wieder auch Ruhe einkehren zu lassen. Ich kenne viele Menschen, deren Terminkalender bis zum Platzen erschöpft sind, die mehrere Termine und Verabredungen auch an ihren freien Tagen haben. Diese Menschen hetzen durch ihre freie Zeit und wollen so viel wie möglich erleben, um abends komplett erschöpft im Sitzen einzuschlafen. 

Gehen Sie raus und leben Ihr Leben, sammeln Sie Eindrücke und schaffen Sie Erinnerungen, aber lassen Sie sich gesagt sein, wenn zwischen Dauerreizen und Erschöpfung nichts anderes existiert, ist das langfristig nicht gesund.

Fotocredit: Olga Divnaya/Pexels

Betriebswirtschaftlerin, Yogalehrerin mit Leib und Seele