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Ethik für die Hochtechnologiewelt – Teil 6

Abschließend zu den kurzen Artikeln über technologische Entwicklungen im Gesundheitswesen sollen noch ein paar Überlegungen und Fragen aus ethischer Perspektive angefügt werden. Technologische Innovationen, wie überhaupt sämtliche Entwicklungen in der menschlichen Kulturgeschichte, haben neben Vorteilen und Chancen auch Risiken bzw. ungünstige Rückwir-kungen auf die Gesellschaft und den Einzelnen. Diese müssen stets auch mitreflektiert werden, was angesichts der Fülle und Unübersichtlichkeit neuer Strömungen kein leichtes Unterfangen darstellt. Dass Ethik hier aber eine zentrale Rolle einnimmt, wird zunehmend deutlicher. Dabei zeigen sich bereits jetzt teilweise sehr gegenläufige Tendenzen, die entweder in Richtung restriktiver Grenzziehungen oder umgekehrt in paradiesische Zukunftsvisionen ausschlagen. Zwischen reinen Pessimisten und Optimisten muss nun aber das ethische Nachdenken einen differenzierten Weg finden, mit Fragestellungen umzugehen. Häufig, wenn auch erheblich anstrengender, liegt der beste Weg jenseits binärer Alternativen, sondern in der genauen Herausarbeitung dessen, was wir uns aus guten Gründen zu eigen machen möchten und worauf wir besser verzichten. Dabei trifft man aber stets auch auf Grundfragen, die sich Einzelne ebenso wie Gesellschaften stellen müssen: Wer oder was ist der Mensch? Wie gehen wir verantwortungsvoll mit dem Leben um? Was wollen wir eigentlich – und warum? Was ist für uns „das Gute“?

Etliche neue Entwicklungen verheißen äußerst positive Aussichten für eine bessere Gesundheitsversorgung, bei der sogar dauerhaft eine Kostendämpfung möglich erscheint. Gleichzeitig wachsen jedoch auch Ängste und Sorgen, wohin diese Reise den Menschen noch führen wird. Was bedeutet das alles für die künftige Arbeits- und Lebenswelt? Werden wir immer mehr zu einem digitalen Cyborg oder gewinnt das Humanum wieder eine zentrale Stellung? Hier sind – global betrachtet – durchaus unterschiedliche Tendenzen sichtbar. Ein paar grundlegende Aspek-te sollen hier helfen, zumindest ansatzweise eine Orientierung zu ermöglichen.

Zunächst kann man grundlegend von ein paar ethischen Prinzipien ausgehen, die gegenwärtig im Gesundheitswesen international akzeptiert sind. Die gängigsten Prinzipien sind: Autonomie bzw. Selbstbestimmung, Nichtschaden, Fürsorge/Wohltun und Gerechtigkeit/Fairness. Ohne diese einzeln auszuführen, müssen ethische Fragestellungen hinsichtlich neuer Technologien mit diesen Prinzipien konfrontiert werden, wozu meist noch der übergreifende Bezug zur Men-schenwürde hergestellt werden muss. Dabei zeigt sich häufig, dass im Einzelfall einige Prinzipien gut erfüllt und andere weniger gut erfüllt werden können. Es kommt also zu einem Konflikt, der dann durch Präzisierung, Argumentation und Bewertung weiter bearbeitet werden muss. Ein Beispiel: Künstliche Intelligenz, Robotik oder die Genschere CRISPR/Cas9 bieten jetzt schon und ziemlich sicher in Zukunft enormes Potenzial und Chancen. Die Grenzen sind kaum abseh-bar. Zu fragen ist jedoch, an welcher Stelle diese Prinzipien gefördert oder umgekehrt unterlau-fen werden. Dabei ist es nötig, eine differenzierte Einschätzung zu treffen, welche Optionen in welcher Weise nutzbar gemacht werden sollen, welche davon aber besser (oder vorläufig) ausgeschlossen werden. Dazu braucht es unter anderem Verträglichkeitsprüfungen, um abzuschätzen, welche Folgen eine Entwicklung mit sich bringt. Dies abzuschätzen erfordert klar umgrenzte Einsatzgebiete und kleine Umsetzungsschritte, um einerseits die Wirkungen zu überblicken und bei Bedarf Gegenmaßnahmen einzuleiten. Hier sind also ausreichende Sicher-heitsnetze und permanente Evaluierungen nötig. Weiters bedarf es Klärungen darüber, wer für was in welcher Weise verantwortlich (und haftbar) ist. Entwicklungen müssen jedenfalls „menschenverträglich“ und „menschensensibel“ sein und sollen zum Guten beitragen. Damit ist aber sogleich die Frage verbunden, was „das Gute“ für uns Menschen eigentlich ist, wozu es natur-gemäß unterschiedliche Auffassungen gibt. Wer und wo sind die Profiteure, wo die Verlierer von Entwicklungen – die es immer auch gibt.

Bezüglich der erwähnten Beispiele sind die warnenden Stimmen wohl ebenso zahlreich wie die Hoffnungsversprechungen. Es ist aber auch erforderlich, die eigenen Vormeinungen, Vorur-teile, gesellschaftlichen, kulturellen und individuellen Einstellungen kritisch zu reflektieren, weil diese einerseits global offenbar divergieren und man nicht davon ausgehen kann, dass die eige-nen Vormeinungen von vornherein einfach richtig sind. Das sind zugegeben teilweise beschwer-liche, aber unumgängliche Wege, die wir beschreiten müssen. Nur eine differenzierte Wahrneh-mung und Entscheidungsfindung kann uns ans gewünschte Ziel bringen und uns vor simplifizie-renden und letztlich unbrauchbaren Alternativen bewahren. Dazu braucht es aber informierte, aufgeklärte und reflektierende Menschen, die bereit sind, sich diesen Herausforderungen zu stellen. Und das sind letztlich wir alle, weil es in einer modernen Demokratie nur über den Umweg der gemeinsamen Meinungsbildung geht. „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“ – formulierte es Immanuel Kant 1784. Dem ist nichts hinzuzufügen!

Fotocredit: Composer/Adobe Stock

Dr. Andreas Klein ist Universitätslektor und Privatdozent für Systematische Theologie an der Universität Wien. Außerdem arbeitet er im Bereich Ethikbegleitung bei der Ethik Consulting Klein GmbH, einer unabhängigen Unternehmensberatung im Gesundheitswesen