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Covid-19: Chancen durch Digitalisierung (4)

Die aktuelle Covid-19-Pandemie hat das globalisierte Dorf namens „Welt“ kalt erwischt, weil trotz allen Fortschritts in Medizin und Technologie die Auswirkungen schlichtweg katastrophal sind – und zwar in allen Teilen der Gesellschaft. Gleichzeitig ergeben sich durch den enormen Handlungsdruck gerade jetzt zahlreiche Chancen für neue oder zumindest adaptierte Entwicklungen. Hierzu ein paar wenige Beispiele und Überlegungen. 

Von der Genschere CRISPR/Cas war schon in einem meiner früheren Beiträge die Rede. Abseits der aktuellen Weiterentwicklungen und Verbesserungen dieses Werkzeugs in diesem Bereich wurde soeben mit diesem Tool ein leistungsfähiger und günstiger Covid-19-Schnelltest (Dauer 40 Minuten) entwickelt, der noch nicht einmal ein Labor benötigt. Die Genschere wurde auf spezifische Genabschnitte des Virus konfiguriert und kann diesen nun umgehend identifizieren. Zwar ist der Test noch nicht zugelassen und wird eher für Folgetestungen dienen, er hat jedoch ein enormes Zukunftspotenzial, weil er für künftige vergleichbare Viren-Fälle kurzerhand umprogrammiert werden kann. Damit erweist das neue Gentechnik-Werkzeug einmal mehr seine erstaunliche Leistungsfähigkeit und Vielseitigkeit. Neben den offensichtlichen Vorteilen und Chancen müssen jedoch gerade hier die möglichen Probleme und ethischen Herausforderungen im Blick gehalten werden. 

Die derzeitige Corona-Situation hat zudem etwas zustande gebracht, was bislang nur äußerst schleppend von der Stelle gekommen ist, nämlich die Telemedizin auf die Überholspur zu bringen. Plötzlich ist es möglich, dass Ärzt*innen mit ihren Patient*innen in direkten und sicheren Austausch treten und Informationen, Dokumente und sogar Rezepte, Bezahlungen und andere Belange miteinander kommunizieren. Dazu wurden etwa bereits vorbereitete Konzepte rasch abgeschlossen und ausgerollt, damit die Mobilitäts- und Kontakteinschränkungen so gut als möglich kompensiert werden können. Auch Online-Konferenzportale (von Zoom über Skype, Jitsi und MS Teams) sind auch in diesem Bereich durch die Decke gegangen. Not macht nicht nur erfinderisch, sondern bringt auch gesamtgesellschaftliche Prozesse auf einen neuen Stand. Viele, die zuvor noch zögerlich, abwartend oder distanziert waren, sind zu neuen Schritten geradezu gezwungen. In besonderer Weise profitieren davon auch psychotherapeutische Ange-bote, die jetzt auf breiter Basis diese Tools nutzen – und zwar durchaus erfolgreich. 

Eine besondere und medial breit kommunizierte Rolle nahm dabei in Österreich die „Stopp Corona“-App des Roten Kreuzes ein, die es – offenbar hochsicher – ermöglicht, nach einer Infektion mittels Digitalem Handshake mögliche Betroffene (zu ermitteln und) zu informieren. Dadurch kann bzw. soll die Infektionskette unterbrochen werden. Die App ist (derzeit) in Österreich nicht verpflichtend und von datenschutzrechtlicher Seite als unproblematisch eingestuft worden. Gleichwohl gibt es insgesamt zu diesen Themen auch hochrangige skeptische Stimmen und Studien, die man zumindest zur Kenntnis nehmen sollte.  

Dass man bei solchen Optionen und Empfehlungen ein mulmiges Gefühl entwickelt, ist nachvollziehbar. Man sollte jedoch bei einer gesunden Skepsis auch die eigene eventuelle Scheinheiligkeit einräumen und kurz Revue passieren lassen, welche Apps man sonst noch so am eigenen Smartphone mit sich herumträgt und sich bereitwillig Tracken und Profilen lässt. Hinter derartigen Angeboten stehen dann häufig weit weniger vertrauenswürdige Akteure und Interessen. Bei greifbarem Nutzen rücken Sicherheitsbedenken häufig ganz rasch in den Hintergrund. Hier sollte man also Augenmaß walten lassen, wenngleich die Frage dennoch relevant ist, wie weit Gesellschaften schrittweise breit sind, (Grund-) Rechte einschränken zu lassen bzw. abzutreten. Auch auf dem telemedizinischen Gebiet ist für Kunden und Patient*innen nicht immer ausreichend klar, wie die jeweiligen Sicherheitsstandards aussehen. 

Neben dieser schlanken Auswahl an Beispielen kommen derzeit aber auch noch andere Optionen verstärkt zum Einsatz, wie etwa assistive Robotersysteme in Krankenhäusern, um den direkten Kontakt zu reduzieren, aber dennoch eine gute Versorgung zu gewährleisten. 

Als ganz anders gelagertes Problem könnte sich jedoch die rasch wachsende Vielzahl der Angebote erweisen, weil diese für die Nutzer zu einer enormen und schwierig zu handhabbaren Unübersichtlichkeit führen: Immer mehr Apps müssen installiert und konfiguriert oder Internetseiten angesteuert werden samt ausufernden Anmeldeprozeduren, Passwort-Speicherungen, Daten- und Informationseingaben und schließlich verlieren User den Überblick, an welcher Stelle man was überhaupt eingegeben hat. Die Folge könnten nicht nur Frustrationen qua Komplexitätssteigerung sein, sondern letztlich sogar Versorgungs- und Qualitätsnachteile. Das sollte auf keinen Fall passieren! 

Fotocredit: Dr. Klein

Dr. Andreas Klein ist Universitätslektor und Privatdozent für Systematische Theologie an der Universität Wien. Außerdem arbeitet er im Bereich Ethikbegleitung bei der Ethik Consulting Klein GmbH, einer unabhängigen Unternehmensberatung im Gesundheitswesen